Ein wahnwitziges Fußballspiel
Löwen führen in Grünwald bis in die Nachspielzeit mit 3:2 und unterliegen dennoch mit 3:4
Es gibt Fußballspiele, über die man sich als Berichterstatter aufgrund der mangelnden Qualität und der Chancenarmut jede Zeile aus den Fingern saugen muss. Und es gibt Spiele, da passiert so viel, dass man darüber ein ganzes Buch schreiben könnte. Ein solches ereignete sich am Freitagabend in Grünwald. Der ortsansässige TSV und der TSV 1880 Wasserburg lieferten sich bei strömendem Regen von der ersten bis zur tatsächlich allerletzten Sekunde einen irren Schlagabtausch, der nach mehreren Wendungen und zwei Spielunterbrechungen in einem 4:3-Erfolg für Grünwald gipfelte, was gleichbedeutend mir der Landesliga-Meisterschaft war. Selbst langjährige Beobachter haben in der Landesliga selten besseren und unterhaltsameren Fußball gesehen.
Jeder, der schon einmal in Grünwald am Sportplatz an der Keltenstraße war, registrierte schon beim Reingehen, dass dieses Mal etwas anders war: Es waren Menschen da. Normalerweise sind die Spiele der Grün-Weißen eher spärlich besucht, doch mit der Aussicht auf eine große Feier fand sich vor allem die junge partyhungrige Grünwalder Society auf dem Fußballplatz ein und präsentierte standesgemäß, aber gleichzeitig humorvoll ihren bevorzugten Gesang: „Wer nicht hüpft, der fährt kein’ Porsche“. Den Feierlustigen verschlug es aber zunächst die Laune, denn mit ihrem ersten Angriff gingen die Gäste in Führung. Nach einem Ballgewinn im Mittelfeld schickte Michael Barthuber Sturmpartner Daniel Yordanov alleine auf die Reise und dieser versenkte eiskalt zum 1:0. Die Löwen beherrschten das Spiel komplett, hörten jedoch nach und nach auf in die Tiefe zu spielen, verteilten ein paar Beinschüsse und berauschten sich an sich selbst, vergaßen dabei aber, dass sie gegen die beste Mannschaft der Liga spielten, die aus dem Nichts Tore erzielen kann. Und so markierte Luis Müller in der 18. Minute nach einer an sich harmlosen, aber schlecht abgewehrten Flanke den Ausgleich und kurz darauf bat Jean-Philippe Stephan in der eigenen Hälfte David Halbich zum Tänzchen, verlor den Ball und stoppte den Alleingang mit einem Trikotzupfer, der zu einem Elfmeter führte. Diesen chippte der Gefoultecool zum 2:1 in die Mitte (23.). In der 36. Minute holte Daniel Yordanov auf der Gegenseite auch einen Strafstoß heraus, doch Michael Barthuber scheiterte am 18-jährigen Gianluca Pizarro, dem Sohn der Stürmerlegende Claudio Pizarro.
Da Luis Müller in der Nachspielzeit der ersten Hälfte eine zehnminütige Zeitstrafe kassierte, begann Wasserburg den zweiten Durchgang in Überzahl und startete ein wahres Powerplay. Die Löwen dominierten das Geschehen und kamen in der 62. Minute durch Manuel Kerschbaum verdient zum 2:2. Kerschbaum hatte am Elfmeterpunkt einen Abpraller aufgenommen, seinen Gegenspieler aussteigen lassen und mit links eingeschossen. Grünwald wirkte nun angeknockt, was sich in der 81. Minute an Severin Buchta deutlich ablesen ließ, als dieser eine Flanke unbedrängt zum 3:2 in die eigenen Maschen beförderte. Das Partyvolk auf der Tribüne war nun komplett ruhig gestellt. In der Folge liefen die Löwen zweimal alleine auf Pizarro zu, versäumten es aber das vierte Tor nachzulegen. Auch wenn sie den Todesstoß nicht setzten, hatten die Löwen alles im Griff, doch dann kam die 93. Minute, in der sich Fehler an Fehler reihte. Erst wurde es verpasst, bei einem Konter an die Eckfahne zu gehen und Zeit von der Uhr zu nehmen, was zu einem Ballverlust führte, dem ein missratener Befreiungsschlag folgte und am Ende wurde ein Schüsschen von Fabian Traub unhaltbar für Lino Volkmer zum 3:3 abgefälscht. Binnen Sekunden befanden sich über 100 Fans auf dem Rasen und da auch Rauchbomben gezündet wurden, unterbrach Schiedsrichter Elias Tiedeken die Begegnung.
Was nach Wiederanpfiff geschah, hätte sich kein Drehbuchautor dieser Welt ausdenken können. Wasserburg bekam noch eine letzte Ecke, die Josef Stellner aus dem Getümmel Richtung Tor lenkte, wo die Kugel zwischen drei Grünwaldern hin und her flipperte, aber wohl hinter der Linie war. Eckenschütze Leon Simeth stand neben dem Linienrichter und beteuerte: „Ich habe es genau gesehen. Der Ball war im Tor.“ Da es aber weder der Schiedsrichter noch sein Assistent so sahen, wurde aus dem Befreiungsschlag die perfekte Vorlage, denn Jasmin Kadiric lief alleine aufs Tor von Volkmer und schob cool zum 4:3 ein (98.). Nach dem erneuten Platzsturm der Schaulustigen stellten die Grünwalder Verantwortlichen tatsächlich doch noch einen Ordner vor die Tribüne, der in seinem gelben Leibchen mit einer Mischung aus Verzweiflung und Autorität die Zuschauer so lange in Zaum hielt, bis das Spiel endgültig abgepfiffen wurde.
Während Grünwald ausgelassen feierte, wunderten sich die Wasserburger, wie sie den mit Abstand besten Auftritt der Saison trotz Überlegenheit nicht in drei Punkte ummünzen konnten. Mit einem Tag Abstand war es für Florian Heller nach wie vor „schwer verdaulich, aber nur vom Ergebnis her. Mit dem Spiel an sich bin ich total zufrieden. Wir haben den Tabellenführer vor extreme Herausforderungen gestellt. Manchmal gibt es das im Fußball und im Laufe einer Karriere, dass solche Spiele vom Ergebnis in eine solche Richtung kippen, die man nicht ganz nachvollziehen kann. Das wird im Lauf der Karriere nicht das letzte Mal gewesen ein.“
Wasserburg: Volkmer, Neumeier, Lindner, Stephan, Brich, Kononenko (ab 91. Rauscher), Kerschbaum (ab 88. Selimovic), Simeth, Wagner (ab 73. Stellner), Barthuber (ab 80. Ferreira Goncalves), Yordanov (ab 96. Marinus Jackl)
Tore: 0:1 Daniel Yordanov (4.), 1:1 Luis Müller (18.), 2:1 David Halbich (23., Foulelfmeter), 2:2 Manuel Kerschbaum (62.), 2:3 Severin Buchta (81., Eigentor), 3:3 Fabian Traub (93.), 4:3 Jasmin Kadiric (98.)
Zeitstrafe: Luis Müller (45., Grünwald, Foulspiel)
Schiedsrichter: Elias Tiedeken (TSV Neusäß)
Zuschauer: 280
„Irrwitzig trifft es glaube ich sehr gut“ – Interview mit Michael Neumeier
Michael Neumeier vom TSV 1880 Wasserburg analysiert das Spitzenspiel
Das 3:4 des TSV 1880 Wasserburg beim neuen Meister der Landesliga Südost, dem TSV Grünwald, war so spannend und mitreißend, dass für die Nachbesprechung ein sehr reflektierter Spieler als Gesprächspartner benötigt wurde, um den wilden Schlagabtausch in Worte zu fassen. So ein Akteur ist der 28-jährige Michael Neumeier, der einen Tag danach über das Spektakel sprach.
Herr Neumeier, Sie sind mittlerweile schon länger dabei, aber so ein spektakuläres Fußballspiel wie am Freitagabend war bestimmt selten dabei. Ihre Mannschaft zeigte eine überragende Leistung und dominierte das Geschehen. Normalerweise sollte das zum Sieg führen. Warum hat es nicht für drei Punkte gereicht?
Wir waren von Beginn an sehr gut im Spiel, wofür wir auch mit dem 1:0 belohnt wurden. Leider haben wir dann aufgrund zu leichter Fehler zwei Gegentore kassiert. Das hat uns denke ich leicht ins Wackeln gebracht, wodurch wir etwas zu hektisch wurden. Deshalb waren wir in der Halbzeit auch nicht zufrieden, was aber eher den Zwischenstand als die Art und Weise betraf. Trotzdem waren wir einhundertprozentig davon überzeugt, dass wir dieses Spiel noch positiv gestalten werden. Wir haben in den ersten 30 Minuten der zweiten Hälfte extrem gedrückt und ich denke auch Grünwald klar dominiert, sodass wir den Spielstand zu unseren Gunsten drehen konnten. Leider bekommen wir dann aus dem Nichts durch einen eigentlich ungefährlichen, aber abgefälschten Schuss ein Gegentor. Trotzdem waren wir meiner Meinung nach anschließend näher am Siegtreffer dran als Grünwald. Unterm Strich war es ein sehr unglückliches Spiel für uns, da wir die deutlich aktivere Mannschaft waren, uns sehr viele Torchancen herausgespielt haben und eigentlich – was sich bei vier Gegentoren natürlich etwas skurril anhört – auch nicht viel zugelassen haben, aber leider durch fehlende Konsequenz vor dem Tor und zu leichter und vermeidbarer Fehler dem Gegner ermöglicht haben, ein Tor mehr zu erzielen.
Der Wahnsinn erreichte in der 98. Minute seinen Höhepunkt. Wie haben Sie diese schon fast irrwitzige Situation wahrgenommen?
Irrwitzig trifft es glaube ich sehr gut. Ich denke wir wollten das Spiel aufgrund der guten Leistung unbedingt gewinnen und haben uns dann in dieser Situation, wie auch bei den anderen Gegentoren, alles andere als clever verhalten, sodass wir den Siegtorschützen gar nicht mehr auf dem Schirm hatten. Wenn meine Flanke nicht verunglückt und ich den Ball ordentlich in den Sechzehner bringe, kommen wir vielleicht gar nicht in diese Situation und haben vielleicht sogar selbst noch die Chance auf den Siegtreffer. Auch deshalb war ich nach dem Schlusspfiff sehr enttäuscht und niedergeschlagen, so wie der Rest der Mannschaft auch. Vielleicht sind wir in dieser Situation zu viel Risiko gegangen, aber andererseits hätte sich dieses Risiko auch fast ausgezahlt, wenn unser Ball nicht noch von der Linie gekratzt worden wäre. Nichtsdestotrotz dürfen wir dem Spieler natürlich nicht diesen Freiraum geben und dann mit Null Punkten nach Hause fahren.
Wasserburg hat eine sehr brave Mannschaft. Ist es fehlende Abgeklärtheit, die fehlt, um solche Spiele zu gewinnen?
Es daran festzumachen ist mir zu billig. Vor einer Woche schlagen wir Garmisch, die einen extrem guten Lauf hatten, und waren sehr aggressiv und zweikampfstark. Ich denke, dass immer mehrere Faktoren mitspielen. Heute hat vielleicht etwas die Cleverness gefehlt und die letzte Konsequenz vor dem Tor. Trotzdem denke ich, dass wir die Zweikämpfe angenommen haben und auch gut in den Gegenpressingsituationen drin waren.
jah