TSV Wasserburg – Es gibt nicht viele Kreisklassen-Vereine, die bei transfermarkt.de gelistet sind. Und noch weniger, deren Kader einen Marktwert von 475 000 Euro hat. Der Aufsteiger TSV Wasserburg ist aber auch kein normaler Kreisklassist, sondern eine Herzensangelegenheit der Fußball-Familie Haas.
Nun auch noch Leo. Leonhard Haas hat 113 Zweitligaspiele auf dem Buckel, hatte seine besten Zeiten beim FC Augsburg und bei Greuther Fürth, nun ist er 33. Und verstärkt den TSV Wasserburg. Mit dem einstigen Bezirksoberligisten, der in den letzten Jahren bis in die A-Klasse abgestürzt ist, sind seine Brüder Dominik, 31, und Matthias, 25, in der letzten Saison aufgestiegen, ungeschlagen, haben 70 von 72 möglichen Punkten geholt und ein Torverhältnis von 105:8. Mit dem großen Bruder gelten sie nun als der FC Bayern der Kreisklasse. Wer soll diese Truppe schlagen?
Die drei Haas-Brüder wurden alle beim FC Bayern ausgebildet, zwei waren Junioren-Nationalspieler, Leo Teilnehmer der U17-WM 1999 in Neuseeland, Matthias wurde 2007 neben Toni Kroos WM-Dritter mit der deutschen U17 in Südkorea. Dominik war gemeinsam mit Philipp Lahm Deutscher A-Jugendmeister 2001, Matthias holte den Titel mit Bayerns B-Junioren 2007. Dominik entschied sich früh gegen den Profifußball und für ein Lehramts-Studium, trotzdem spielte er viele Jahre hochklassig für Unterhaching, Heimstetten und 1860 Rosenheim. Matthias versuchte beim Hamburger SV, in den Profibereich vorzudringen, Verletzungen warfen ihn zurück, zuletzt spielte er noch bei 1860 Rosenheim in der Regionalliga.
Ideen in der Sauna
Bis ihn vor gut einem Jahr Dominiks Idee faszinierte, in der A-Klasse, tiefer geht’s kaum, etwas aufzubauen. Die Idee war „in der Sauna“ entstanden, Dominik traf sich dort mit dem Kollegen Niki Wiedmann, den es vom VfB Stuttgart über den FC Basel und Mainz 05 nach Rosenheim verschlagen hatte, der nun auf die berufliche Perspektive setzte, weiter aber Spaß am Fußball haben wollte. „Spaß“, betont Dominik, „Spaß war die Triebfeder für uns.“ Aber nicht allein. Die Haas-Brüder stammen aus Ramerberg, zehn Kilometer von Wasserburg entfernt. Der Niedergang des Wasserburger Fußballs schmerzte auch sie, obwohl sie selbst nie dort gespielt hatten. Der Verein hatte nicht den besten Ruf, war verschrieen als „Söldnerklub“, der schier unaufhaltsame Absturz war auch von Schadenfreude begleitet.
„Aber Wasserburg hat ein tolles Umfeld“, weiß Matthias. „Hier wäre viel möglich.“ Die Region hat talentierte Fußballer, das Stadion neben dem Erlebnisbad Badria ist für höhere Ligen ausgelegt. Und Sponsoren könne man zurückgewinnen, „wenn man guten, ehrlichen Fußball spielt“, glaubt Matthias. Den Ehrgeiz hat er nicht verloren, selbst in der A-Klasse nahm er kein Spiel auf die leichte Schulter, war „teilweise angespannter als in der Regionalliga“. Auch Dominik ärgert sich noch immer über die zwei verlorenen Punkte beim einzigen Unentschieden gegen die SpVgg Pittenhart. Am Ende aber feierte man den Aufstieg mit 21 Punkten Vorsprung.
Leo komplettiert das Trio
Und nun auch noch Leo. „Es war immer ein Traum, mal gemeinsam mit meinen Brüdern in einer Mannschaft zu spielen“, sagt der Ex-Profi. Vor einem Jahr ist er aus Rostock, seiner letzten Profistation, in die Heimat zurückgekehrt, absolviert hier eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann. Nun juckt es ihn wieder in den Beinen, aber Kreisklasse? „Der Fußball bleibt doch immer irgendwie gleich“, beschwichtigt er. Natürlich, das Tempo ist hier langsamer, es werde weniger trainiert, „für die Spieler gibt es einfach Wichtigeres als Fußball“. Genau das war anfangs für Matthias eine Art „Kulturschock, da waren manchmal nur sieben oder acht Leute im Training“. Das habe sich inzwischen geändert, Matthias spürt eine „Aufbruchstimmung“ in Wasserburg. „Wir wollen mit gutem, spielerischem Fußball die Leute zurückgewinnen“, sagt Dominik.
Schon gilt der Aufsteiger als haushoher Favorit für den nächsten Aufstieg, Dominik aber ist vorsichtig: „Fußball spielen können die schon auch“, und dass die Gegner gegen Wasserburg besonders motiviert sind, auch mal mehr als die 100 Prozent zu geben versuchen, das kennt man noch aus der A-Klasse. Ob es auch Anfeindungen gab gegen die „Startruppe“? Eigentlich kaum, meint Matthias: „Von den Gegenspielern sowieso nicht, wenn dann von Zuschauern.“ Aber man kennt die Haas-Brüder in der Region, man schätzt sie. Mit Georg, dem Cousin, steht ein vierter Haas im Team, trainiert wird es in der neuen Saison von Christian Haas, dem Onkel, der sich als Jugendtrainer in Rosenheim einen Namen gemacht und spätere Profis wie Julian Weigl geformt hat.
Wasserburg ist ein Projekt
Die Verpflichtung von Christian Haas weist auch den Weg: Der Aufschwung des Wasserburger Fußballs soll ja nicht zu Ende sein, wenn die Haas-Brüder oder Niki Wiedmann ihre Fußballschuhe endgültig an den Nagel hängen. „Wir wollen schon was Nachhaltiges schaffen“, betont Dominik. Die erste Mannschaft soll das Aushängeschild sein, das die Kinder und Jugendlichen wieder in den Verein holt und hält. Ziel ist es, über den bewährten Nachwuchsförderer Christian Haas mittelfristig eigene Talente im Herrenbereich zu etablieren, „sodass wir älteren Spieler uns in ein paar Jahren beruhigt zurückziehen können“, so Leo. Oder selbst in die Nachwuchsförderung einsteigen. Gerade haben die Haas-Brüder in Wasserburg ein eintägiges Trainingscamp für Kinder geleitet. Und viel Spaß gehabt bei der Arbeit mit den Kleinen.
Noch aber sind sie heiß, wie die gesamte Mannschaft. „Hier habe ich wieder den Spaß, der mir zuletzt etwas verloren gegangen war“, sagt Matthias. Im Training müsse man „mächtig Gas geben, wir haben jetzt 15, 16 richtig gute Fußballer“. Und mit Leo viel Qualität dazugewonnen. Ob er nicht fürchte, als Edeltechniker mächtig auf die Socken zu bekommen in der Kreisklasse? „Die zweite Liga ist doch mindestens genauso hart.“ Er spricht aus Erfahrung, zu viele Verletzungen haben ihn eine noch bessere Karriere gekostet. Aber auch mit dem, was er erreicht hat, ist er zufrieden. Größter Moment für ihn war der 3:0-Erfolg mit dem FC Augsburg vor 69?000 Zuschauern in der Allianz-Arena gegen die Löwen. Haas traf zum 1:0. „Eine unglaubliche Atmosphäre“, schwärmt er. Diese Momente wird er vermissen.
Sein neues Fußballzeitalter beginnt am Sonntag. Ausgerechnet in Ramerberg. Dem Ort seiner Kindheit, dem Wohnort seiner Eltern. Er ist wieder daheim.
Reinhard Hübner
Drei Brüder sorgen für Aufbruchstimmung in Wasserburg: Matthias, Dominik und Leonhard Haas (v. l.). Foto: Reinhard Hübner
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